Das Fliessen der Zeichen

1. Farbe und Bildraummöglichkeiten

Genau hier liegt, denke ich, der Prüfstein für Realismus: nicht in der Quantität der Information, sondern in der Leichtigkeit, mit der sie fließt. Und dies hängt davon ab, wie stereotyp der Modus der Repräsentation ist, wie gebräuchlich die Etiketten und ihre Verwendung geworden sind. (Nelson Goodman)

Die Farbe in den Bildern von Elisabeth Schafzahl schlägt ihre Brücken in die verschiedensten Epochen der Kunst.
Oft ist sie nur Atmosphäre, eine Art Luftperspektive, seit Leonardo als sfumato bekannt. Das in die (geografische) Fläche geklappte Bild des Kontinents Afrika wird durch die atmosphärische Gelbfärbung zu einer Luftperspektive wie von einem Satelliten aus gesehen.

Wo Elisabeth Schafzahl Schwarz verwendet, kommt das Licht aus dem Hintergrund und Schwarz bildet die Kulisse des Vordergrunds. Eine Gegenlichtsituation wie zu Tagesanfang oder –ende. Es entsteht ein Licht, das man mit der Romantik in Verbindung bringt.

Auch dort wo Elisabeth Schafzahl die Farbgebung dem Kopierer überlässt, entsteht die erwähnte Luftperspektive, aber in dieser löst sich jetzt das vom Sujet der geografischen Karte gegebene oben und unten auf, da die geografische Karte in zufällig gebildeten Faltungen abgebildet wird. Es entsteht eine Vielansichtigkeit, eine auseinander genommene und anders wieder zusammen gefügte Perspektive, die auf die kubistische Dekonstruktion verweist, in der erstmals, wie schon zuvor bei Cézanne die wissenschaftliche Perspektive als Kunstregel aus der Malerei verbannt wurde.

Dieser so gesehen polyvalente Bildraum wird zusätzlich durch die schwarzen Gesten offen gehalten. Eine Haltung, die man dem abstrakten Expressionismus zuordnen würde.
Die Farbe erscheint nicht nur als Bildraum, sondern als Farbe in ihrer Materialität, und führt das Auge des Betrachters aus der Illusion des Bildraumes wieder zurück zu sich selbst, indem es aus einem möglichen Bildraum wieder zurückverwiesen wird an die Oberfläche des Bildes und dort hängen bleibt bis es wieder in die Illusion steigt. Die Illusion ist in den Bildern Elisabeth Schafzahls immer als solche ausgewiesen und sichtbar gemacht. Die Illusion fängt nie an zu „fließen“, ist nie realistisch (Goodman, Nelson: Sprachen der Kunst, Frankfurt 1997, S. 45). Nach Nelson Goodman ist Realismus relativ, und nur durch das „Repräsentationssystem festgelegt, das für eine gegebene Kultur die Norm ist. Neuere, ältere oder fremde Systeme hält man für unnatürlich oder ungeschickt. […] Diese Relativität wird durch unsere Neigung verschleiert, einen Bezugsrahmen dann nicht zu spezifizieren, wenn es unser eigener ist. ‚Realismus’ wird daher oft als Name für einen bestimmten Stil oder ein bestimmtes Repräsentationssystem verwendet. Genauso wie wir auf diesem Planeten gewöhnlich Objekte für fixiert halten, wenn sie in einer konstanten Position relativ zur Erde sind, so halten wir in dieser Epoche und an diesem Ort gewöhnlich Gemälde für buchstäblich oder realistisch, wenn sie einen traditionellen europäischen Stil der Repräsentation haben“

Bei Elisabeth Schafzahl wird Malerei als Malerei sichtbar, und zwar nicht nur im herkömmlichen Aspekt der abstrakten Malerei, die unter Gegenstandslosigkeit eine
Freiheit verstanden haben will, sondern Malerei als Malerei, die gleichzeitig auf die Möglichkeiten der Malerei verweist. Eine Malerei, die die Möglichkeiten der Illusion von Gegenständlichkeit impliziert, aber umgekehrt auch nicht darauf angewiesen ist und die Eindeutigkeit einer gemeinten Illusion ebenso nicht zulässt. Das Polyvalente der Bildraummöglichkeiten steht im Zentrum der so gesehen „abstrakten“ Malerei von Elisabeth Schafzahl.

 

2. Symbole und Zeichen

Es geht nicht mehr um Imitation, Verdoppelung, Parodie. Es geht um die Substituierung des Realen durch Zeichen des Realen. (Jean Baudrillard)

Neben dem Thema der Malerei als Malerei und den daraus folgenden  Bildtraummöglichkeiten stehen aber auch ganz explizit ausgewiesene Sujets im Bildraum. Neben den besprochenen malerischen Räumen tun sich hier symbolische Räume auf.

Die Bezüge könnten deutlicher nicht sein und übernehmen durch die direkte oder indirekte (Siebdruck) Verwendung von Grafiken und Diagrammen den Charakter eines readymade.
Wir sehen geopolitische Symbolsysteme, sowie medizinische Menschen- bzw. Organdarstellungen.
Eine alte Grafik zeigt die Bluttransfusion von einem Schaf zu einem Menschen. Die Farbe Rot, mit der die Grafik auf ein altes Spitalsbettenleinen gedruckt ist, wird hier nicht zum Verweis auf etwas anderes, sondern bekommt etwas Reales.
Hier gerinnt die Farbe zu Blut. Natürlich bleibt das Rot symbolisch, weil es als Bild verwendet wird, aber es lässt sich vom Symbol nicht mehr unterscheiden.

Die aus dem medizinischen Atlas entnommene Grafik eines Körpers mit Blutkreislaufsystemdarstellung, gedruckt auf eine geografische Karte wie sie noch vor einiger Zeit an Schulen verwendet wurde: Auf geografischen Karten sind Symbole immer etwas größer als im maßstäblichen Verhältnis dargestellt. Diese Menschen aus dem medizinischen Atlas aber sind zu groß um nur der Lesbarkeit der Karte willen vergrößert zu sein. Sie zeigen ein neues Verhältnis zwischen Mensch und geografischer Darstellung. Der Mensch erscheint in gigantischer Größe, dem Globus in etwa gleichgestellt, als gäbe es keinen Unterschied mehr zwischen geografischem Außenraum und Innenraum des Körpers, was die Darstellbarkeit und Sichtbarkeit betrifft. Denn die vorherrschenden Bilder kommen allesamt von unzugänglichen Blickpunkten und neuen bildgebenden Verfahren.

Nach Baudrillard dreht sich das Verhältnis zwischen dem Realen und seiner Repräsentation um, indem nicht mehr das Reale dem vorausgeht, durch das es repräsentiert wird, sondern, dass das Repräsentieren die Realität überhaupt erst herstellt, die von Baudrillard als Hyperrealität bezeichnet wird. Die Simulation ersetzt das Imaginäre. „Mit der Simulation verschwindet die gesamte Metaphysik. Es gibt keinen Spiegel des Seins und der Erscheinungen, des Realen und seines Begriffs mehr. […] Die Produktion des Realen basiert auf verkleinerten Zellen, Matrizen und Erinnerungen, auf Befehlsmodellen – und ausgehend davon lässt es sich unzählige Male reproduzieren. […] In diesem Übergang zu einem Raum, dessen Krümmung nicht mehr dem Realen oder der Wahrheit folgt, öffnet sich die Ära der Simulation durch Liquidierung aller Referentiale – Schlimmer noch: durch deren Wiederauferstehung in verschiedenen Zeichnsystemen, die ein viel geschmeidigeres Material abgeben als der Sinn“ (Baudrillard, Jean:Agonie des Realen, Berlin 1978, S. 8,9). Die Karte lässt sich hier als Symbol für die cartesianischen Klar- und Wahrheiten lesen. Das cartesianische cogito ergo sum funktioniert in der Hyperrealität nicht mehr.

 

Der schon erwähnte Verweis auf die Romantik im Zusammenhang mit Elisabeth Schafzahls Bildthemen ist insofern aufschlussreich, als in der Epoche der Romantik das individuelle und universalistische Selbstverständnis seinen Anfang genommen hatte. Als Folge der Aufklärung und noch vor der industriellen Revolution begann was heute als Globalisierung aktuell ist.
Man könnte Elisabeth Schafzahls geopolitische Ansichten als romantisiert bezeichnen. Sicherlich will sie damit der Forderung von Novalis, die Welt muss romantisiert werden, nachkommen. Vielmehr bedient sich Elisabeth Schafzahl der Romantik als Code, die „als ‚Transzendentalpoesie’ in Relation zu Kants und Fichtes ‚Transzendentalphilosophie’“ im Gedanken, dass alle Erfahrbarkeit der Welt jenseits des Ich in diesem selbst enthalten sei, stand, wenn Schelling, Friedrich Schlegel und Novalis „versuchten, Kunst und der Tätigkeit der Phantasie ihren Ort in einer solchen ideellen Konstruktion zuzuweisen“ (Schulz, Gerhard: Romantik, Berlin 2002, S. 37).
Die cartesianischen Wahrheiten sind heute nur mehr unter einem romantischen Aspekt zu betrachten, als Romantik zu qualifizieren.

Im Symbolischen der Bilder Elisabeth Schafzahls werden die Spuren und Zeichen in verschiedenen Stadien verwendet.
Entweder sie werden als herkömmliche Symbole verwendet oder die Spuren werden verwischt. Es entsteht ein Grenzgang zwischen Spur und lesbarem Zeichen. Das wird besonders in den schwarzen Spuren deutlich bzw. undeutlich: Nie darf sich der Betrachter sicher sein, eine Zeichnung in ihrer gemeinten Darstellung zu lesen, nie darf sich das Auge sicher sein, ob das Gesehene auch wirklich das Gemeinte oder Gewollte bzw. Beabsichtigte ist. Der Realismus, das Fließen der Information (Goodman) wird immer wieder gestört. Das ist ein Grundprinzip in der Malerei Elisabeth Schafzahls. Doch selbst wo Klarheit der Zeichen und deren Lesbarkeit bzw. Eindeutigkeit dominiert, wie in vielen Siebdruckarbeiten, stockt der Zeichenfluss. Auch in den konzeptuellen, meist interaktiv konzipierten Arbeiten Elisabeth Schafzahls kommt dieses Prinzip zum Tragen. Immer nimmt Elisabeth Schafzahl Bezug auf den Realismus. Aber mit umgekehrten Vorzeichen. Das „Stören“ des Zeichenflusses gelingt ihr auf subtile Art. Denn nicht das Stören selbst wird wahrgenommen, wie es der surrealistischen Methode entsprechen würde. Vielmehr muss man das vom Diktum Baudrillards aus verstehen, wo das Reale und des Imaginäre ununterscheidbar werden, indem durch die Simulation das Imaginäre dem Realen vorausgeht. In diesem Feld zu intervenieren ist Elisabeth Schafzahls Kunst.